DER STANDARD
Donnerstag, 10. April 2003, Seite 31
Welcome to Mythanien
In der Debatte rund um die Pensionsreform dominieren derzeit die Sprache der Werbung und damit einhergehend Hohelieder auf die private Vorsorge. Dem seien einige Fakten entgegengehalten . . .
Christian Felber*
Das Schlimmste an der Pensionsdebatte ist, dass der Glaube an den Generationenvertrag und das solidarische Umlageverfahren durch Werbung kaputtgemacht wurde - zugunsten einer in jeder Hinsicht unterlegenen privaten Vorsorge. Die finanzmarktabhängigen Säulen 2 und 3 (Betriebs- und Privatpensionen) sind teurer, unsicherer und unsozialer als das Umlageverfahren (1. Säule). Selbst ein teilweiser Systemwechsel würde massive Verschlechterungen für die Versicherten bringen. Hier einmal Fakten statt Werbung: 2030 muss angeblich jeder Erwerbstätige einen Pensionisten erhalten. Unmöglich, oder? Im heiß beworbenen Kapitaldeckungsverfahren ist das die zwingende Norm: Jeder sorgt für sich selbst. Der Unterschied: In der 2. und 3. Säule lässt sich gegen dieses Naturgesetz nichts machen, beim Umlageverfahren kann man politisch gegensteuern - durch eine höhere Erwerbsbeteiligung: Heute kommen auf 1000 Beschäftigte 620 Pensionisten. Um ein Hochschnellen auf die horrenden 1000:1000 zu verhindern, würde es ausreichen, die Erwerbsquote (Anteil der tatsächlich Beschäftigten an den Personen im erwerbsfähigen
Alter) an das heutige Niveau der Schweiz, Dänemarks oder Norwegens anzunähern. Dann kämen 2030, am Höhepunkt der demografischen Ungunst, auf 1000 Beschäftigte "nur" 720 Pensionsbezieher. Nach Wifo-Berechnung würde neben der Anhebung der Erwerbsquote eine zweite Maßnahme ausreichen, um das heutige Pensionsniveau bis 2030 zu
halten: die Anhebung der (ASVG-)Beitragssätze von derzeit 22,8 auf 25,5 Prozent. Unmöglich, oder? Angenommen, Produktivität, Wirtschaft und Realeinkommen wachsen in den nächsten 30 Jahren um durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr, so wie sie es in den letzten 30 Jahren auch getan haben, dann müssten wir nicht wie heute von 100 Euro Einkommen 22,8 Euro an die Pensionsversicherung abliefern (es bleiben 77,2 Euro), sondern von dann 200 Euro 51 Euro: Es blieben 149 Euro, bei gleicher Kaufkraft. Wo ist also das Problem?
Finanzmärkte und Demografie
Ein drittes Argument, das in Hochglanzbroschüren geflissentlich übersehen wird: Das Kapitaldeckungsverfahren ist durch die Alterung der Bevölkerung viel stärker gefährdet als das Umlageverfahren. Wer kauft in 30 Jahren der riesigen Pensionistenschar die Aktien ab, wenn keine Jungen nachkommen? Bei ausbleibender Nachfrage passiert auf den Finanzmärkten dasselbe wie auf allen anderen Märkten: Die Preise purzeln in den Keller, die Aktien werden entwertet, die Pensionen schrumpfen wie Schnee im Frühling. Denkfehler Nummer vier: Durch die (angestrebte) Entlastung der öffentlichen Haushalte werden die Pensionen für den Einzelnen keineswegs billiger. Denn was der Staat nicht mehr leistet, muss ich mir am Markt teuer dazukaufen. Mit anderen Worten: Was nützt mir eine sinkende (oder
konstante) Staatsquote, wenn dafür meine Privatquote umso schneller ansteigt? Das Ansparen für die eigene Privatpension erfolgt übrigens zusätzlich zu den Umlagebeiträgen für die Vorgängergeneration. Das heißt: Allein durch den (teilweisen) Systemwechsel wird das Gesamtsystem teurer, weil eine Generation zweimal zahlt. Teurer wird es
sowieso: Zwar wurde uns 15 Jahre lang eingetrichtert, dass der Staat überbürokratisch und ineffizient sei, doch in der Pensionsversicherung ist er (bzw. die Selbstverwaltung) unschlagbar schlank. Von 100 Euro Beiträgen in die Pensionsversicherung fließen 98,2 Euro als Versicherungsleistung (Pension) zurück, die Verwaltung benötigt 1,8 Euro. Private Versicherungen und Fonds verschlingen für Verwaltung, Werbung und Gewinn bis zu 30 von 100 Euro (Chile). Eine gewöhnliche Lebensversicherung schluckt zwölf bis 15 von 100 Euro. Auch das steht in keinem Werbeprospekt. Dort winken nur die Traumrenditen. Wenn private Pensionen so teuer sind, werden nur wenige Menschen erfolgreich eine armutsvermeidende Rente ansparen können, noch ganz abgesehen vom Finanzmarktrisiko. Private Versicherer rechnen außerdem weder Kindererziehungs- noch Arbeitslosenzeiten an, das macht die Privatrenten noch magerer. Zahlreiche Personen fallen daher an den Staat zurück, was das Gesamtsystem wieder teurer macht - oder die Altersarmut erhöht. Was Frauen noch wissen sollten: Sie bekommen für gleich hohe Beiträge eine geringere Privatpension als Männer, weil sie länger leben. Auch das steht nicht in den Prospekten. Man muss den Werbestrategen der Banken und Versicherungen gratulieren. Sie haben es geschafft, die Volksmeinung über alle Fakten hinweg zu ändern.
Gestärkter Neoliberalismus
Politiker aller Couleur halten die kapitalgedeckten Säulen offensichtlich für besser als das Umlageverfahren. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie öffentliche Gelder aus der 1. Säule absaugen und in die 2. und 3. Säule pumpen (Prämien, Steuerzuckerln). Im Regierungsprogramm 2000 stand ganz offen die Zerschlagung der Pflichtversicherung, die jetzige Regierung programmiert nicht, sie kürzt. Wer sind die Gewinner? Der Pensionskuchen ist 400 Milliarden Schilling schwer (Summe der Beiträge). Wenn die Banken und Versicherungen wie bei einer gewöhnlichen Lebensversicherung zwölf bis 15 Prozent bekommen, kommen sie auf ein Körberlgeld von 48 bis 60 Milliarden Schilling, egal ob die Börsen boomen oder krachen. Noch nie war der Neoliberalismus so stark in Österreich.
*Der Autor ist freier Wirt-
schaftsjournalist und Presse-
sprecher von Attac Österreich.
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